Himmelsgaben
Band 3
Worte aus der Höhe der Höhen, neben den großen Werken der Neuoffenbarung
- Kapitel 116 -
Texterläuterung des Herrn. IV. Backenstreich und Mantel
21. März 1864, von 10 1/2 Uhr vormittags bis 1 Uhr mittags.
Was das 5. Kapitel und den 39. Vers (Matthäus) betrifft, worin es heißt, daß sie nicht widerstreben sollen dem Übel, sondern so jemand jemandem einen Backenstreich gäbe, so solle er ihn nicht vergelten mit einem Gegenbackenstreich, und Vers 40: ,,So jemand rechten will mit dir um deinen Rock, da gebe ihm lieber auch noch den Mantel dazuö, ist folgendes zu bemerken:
2
So jemand nur ein wenig helleren Denkens ist, so wird er das wohl auf den ersten Blick einsehen, daß dieses von Mir Gesagte nicht von fernhin dem materiellen Sinne nach seine Anwendung finden soll und finden kann; denn Ich habe dieses zwar gesagt bei einer Gelegenheit, als man Mich fragte, ob des Moses Anordnung durch Meine pure Liebespredigt aufgehoben sei. Ich aber sagte: ,,Ich hebe kein Jota vom Gesetze Mosis auf und erfülle es insoweit, als es die Liebe in sich enthält. Es ist wohl wahr, daß zu den Alten durch Moses ist gesagt worden: ,Auge um Auge und Zahn um Zahn, und wer einen totschlägt, der solle auch wieder durch den Tod bestraft werden`; aber unter euch, Meinen Jüngern, soll es anders sein!"
3
Und ebenda habe Ich das Beispiel von dem Backenstreiche und von dem Streit über den rechtmäßigen Besitz eines Rockes gegeben, was freilich wohl nicht ganz richtig niedergeschrieben wurde und mit der Übersetzung von der hebräischen Sprache in die griechische, von der in die römische und lange darauf von den drei genannten Sprachen erst in die deutsche, die in der Übersetzungszeit noch sehr wortarm war und für manchen Ausdruck in den drei Sprachen nicht ein Wort hatte, um ihn richtig zu geben, übernommen .
4
Und es sollen demnach diese Verse genauer also lauten: ,,So du mit einem Bruder oder Nachbarn einer kleinen Sache wegen in einen Streit geraten bist und er schlagheftig dir entgegentrat, so werde du nicht noch heftiger, sondern reiche ihm freundlich die Hand und vergleiche dich im Frieden mit ihm, auf daß die alte Freundschaft unter euch wieder belebt werde!"
5
Darin ist also von einer Ohrfeige keine Rede. Ebendadurch hätte Ich ja dem Stärkeren ein Recht eingeräumt, seinem schwächeren Bruder oder Nachbarn, sooft es ihm beliebt hätte, nicht nur mit einem, sondern mit zwei Backenstreichen aufzuwarten. Und ebenso verhält sich die Sache auch mit dem Rechten um einen Rock. Um aber dieses Rechten eines Rockes wegen richtiger zu verstehen, muß man in den jüdischen Haussitten und Gebräuchen eine wenigstens halbwegs genügende Kenntnis haben.
6
Es war unter ihnen von alters her Sitte und Gebrauchsform: So jemand zu einer Zeit, da er gewöhnlich kein Geld hatte und auch keine verkaufbaren Haustiere, aber dennoch eines Rockes oder Mantels oder beider Kleidungsstücke zugleich bedurfte, so ging er zu einem oder dem andern Kleidermacher seiner Gemeinde oder Ortes hin, stellte ihm seine Lage vor und bestimmte ihm den Zahlungstermin.
7
Nun geschah es aber sehr häufig, daß so mancher seinen Zahlungstermin entweder nicht einhalten konnte oder gar oft auch nicht wollte. Und der Rock- und Mantelsteller war zwar verpflichtet, noch bis zu einem nächsten - zweiten, ja sogar bis zum dritten und letzten Termin, aber gegen ein kleines Interesse, zu warten, bis endlich der dritte und letzte Termin verflossen. Nach dem dritten Termin hatte der Rock- und Mantelsteller das Recht, das Bedungene von dem zu verlangen, dem er den Mantel und Rock gestellt hatte; und da ging es vor einem Richter oft nicht selten sehr hitzig her. Der Rocksteller wollte sein Bedungenes; der Besitzer des Rockes und des Mantels aber brachte allerlei Gründe vor, nach denen er auch nach dem abgelaufenen dritten Termin seinen Gläubiger nicht befriedigen könne.
8
Für diesen Fall bestand bei den Juden ein Gesetz, daß im Falle einer wirklichen Zahlungsunfähigkeit die Gemeinde verpflichtet war, den Kleidungssteller zu entschädigen und ihn dadurch erwerbsfähig zu erhalten. Sie hatte dafür aber das Recht, mit der Zeit sich an dem zahlungsunfähigen Gemeinde-Insassen zu entschädigen, so sie gewahr wurde, daß dieser zahlungsfähig geworden ist, was aber unter zehn solcher Schuldner oft kaum einer werden wollte und für seine permanente Zahlungsunfähigkeit allerlei Gründe vor die Gemeinde zu bringen verstand.
9
Dadurch kam es oft zu jahrelangen Streitigkeiten in einer solchen Gemeinde, und Ich wurde einmal darüber befragt, was da Rechtens wäre, um solchen Übeln zu begegnen. Und da eben sagte Ich: Das beste und wirksamste Mittel bestehe darin, erstens nach dem Gesetze Mosis vollkommen redlich und ehrlich sein, nach dem niemand etwas begehren oder verlangen solle, was seines Nächsten ist. Da es sich aber um das Rechten eines Rockes wegen handelt, so möge das für den Schuldner und den Gläubiger gelten: zum wenigsten ein- bis zweimal lieber den Rock - und am Ende auch noch den Mantel hinzu - zu lassen, als die ganze Gemeinde in viele unnütze Streitigkeiten und Zwistigkeiten zu verleiten.
10
Nun, wer das weiß, wird Mir unmöglich Unrecht geben können, daß Ich solchen Rat erteilt habe, damit für die Folge Friede und Einigkeit unter ihnen erhalten werde. Der Evangelist hat aber an und für sich solches, da ihm das Schreiben schon etwas lästig geworden ist, mit so wenig Worten als möglich wiedergeben wollen, um sich Zeit und Mühe zu ersparen; denn das Schreiben ging in jener Zeit nicht so hurtig vor sich, sondern nur sehr mühsam und langsam. Und zu einer solchen Schreibseite, die gegenwärtig ein nur mäßig fertiger Schreiber in der Zeit von 20 bis 30 Minuten niedergeschrieben hat, brauchte ein in Sidon, ein Lukas in Jerusalem und ein Theophilus zu Athen, Korinth oder Syrakus, wo er sich oft zeitweilig aufhielt, bei allem Fleiße mindestens acht Tage; denn entweder mußte er seine Buchstaben mit stählernem Griffel in dazu eigens verfertigte harte Steinplatten eingraben, oder er mußte sie mit einem feinen Malerpinsel auf Pergament förmlich hinmalen.
11
Für den geübten Maler oder Schreiber mit einem Pinsel ging es mit dem Aufzeichnen der Buchstaben freilich um etwas geschwinder, aber auch nicht um ein sehr bedeutendes als mit dem alten Griffel. Und das war denn auch der Grund, warum sich die Schreiber zu Meiner Zeit so kurz faßten. Und ein l'Rabbas, bis er sein letztes, d.i. fünfzehntes Evangelium auf dem Pergamente vor sich hatte, benötigte zu solch einer Arbeit nahe an fünfundzwanzig Jahre, und er war dabei noch sehr fleißig und eifrig. Daß dann derlei Schreiber sich so kurz als möglich faßten, nur die Hauptworte gewisserart berührten und die Nebensachen zur Erklärung der Hauptbegriffe wegließen, wird euch nun begreiflich sein.
12
Aber, fragt da schon leichtlich jemand: Moses und auch andere Propheten aus der Vorzeit haben doch ausgedehnte Bücher geschrieben; wie lange hat denn hernach Moses gebraucht, um nur die bekannten fünf Bücher zu schreiben mit Hinweglassung des 6. und 7. Buches nebst einem bedeutenden prophetischen Anhange?
13
Da sage Ich euch darauf, daß nach seiner damaligen Schrift alle die von ihm geschriebenen Bücher dem ganzen Volumen nach nicht mehr ausmachten, als ein Evangelium des Johannes von Mir, denn Moses schrieb noch in der ihm wohlbekannten ägyptischen Hieroglyphenschrift. Und erst in der Zeit der Richter, die in dieser Schrift noch wohlbewandert waren sowie in deren Entsprechungen, wurden die Bücher Mosis mit den althebräischen Lettern aufs Pergament gebracht, das man in der alten Stadt Pergamus wohl zu bereiten verstand.
14
Aber selbst diese Schrift war den meisten zu Meiner Zeit lebenden Juden unverständlich, weil die Vokale zwischen den Konsonanten nicht vorkamen; und man fand sich genötigt, eine neue Abschrift zu machen, an der sich die sogenannten alten Schriftgelehrten über zweihundert Jahre lang beteiligten. Der Name Schriftgelehrter rührte denn auch daher, nicht als ob er den rechten Sinn der Schrift verstünde, in welchem Stücke die meisten Schriftgelehrten samt den Pharisäern die pursten Schafsköpfe waren, sondern weil sie die alte vokallose Schrift aus den Zeiten der Richter lesen konnten. Daher es euch auch nicht Wunder nehmen sollte, daß es zwischen Mir und solchen Schriftgelehrten stets zu einem Wortkampfe kam, an dem sie ihrer erwiesenen Blindheit halber kein Wohlgefallen hatten. Mit dem werden die beiden obigen fraglichen Texte begreiflich genug dargetan.