Das Grosse Evangelium Johannes: Band 9
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
Der Herr in der Gegend von Cäsarea Philippi
- Kapitel 167 -
Des Römers Wehmut bei der schönen Aussicht
16.4.1862
Als wir uns auf dem Berge befanden, da bewunderten die Griechen und der Römer die schöne Gegend.
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Und der Römer sagte: ,,Wahrlich, so eine nach allen Richtungen hin wunderherrliche Landschaft ist mir noch gar nie vorgekommen! Wenn man auf dieser lieben Erde immer jung, kräftig und gesund bliebe und mit dem Nötigen versorgt, so könnte man an solch einer Gegend auch eine ewige Freude haben.
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Es erfüllt aber das menschliche Gemüt oft mit vieler Wehmut beim Anblick einer so herrlichen Landschaft, so der Mensch sich dabei stets denken muß: Nur noch eine ganz kurze Zeit ist dir diese Freude gegönnt, und du wirst sie dann auf ewig schmerzhaft verlassen müssen. Was aber kann der schwache Mensch da wohl anderes dagegen tun als seufzen, daß er ein oft auch auf dieser Erde sehr schönes und angenehmes Leben so bald gänzlich verlassen muß und nicht mehr schauen und genießen kann die Reize und Schönheiten solch wunderherrlicher Gegenden dieser Erde? Du, o Herr und Meister, willst es einmal also, und der arme und ohnmächtige Mensch muß sich der Allmacht Deines Willens fügen."
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Sagte Ich: ,,Freund, nun hat wohl wieder der alte, blinde Römer und Heide aus dir geredet, und du hast trotz deines musterhaft starken und lebendigen Glaubens und Vertrauens an Mich dargetan, daß du in die Geheimnisse des wahren, inneren Seelenlebens noch gar nicht eingeweiht b is t!
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Meinst du denn, daß die Seele ohne Hilfe des materiellen Leibes nicht auch die Gegenden dieser Erde werde zu schauen imstande sein, vorausgesetzt, daß sie nach Meiner euch klar gezeigten Ordnung vollendet sein wird und also verlassen wird ihren schweren Leib?
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Wer anders sieht denn jetzt, wennschon unvollkommen, durch die zwei kleinen Fensterlein unter deiner Stirne diese Landschaft als eben nur deine allein lebendige Seele? Der Leib ist ja nur auf eine kurze Zeit ihr als ein Werkzeug gegeben, um sich beim rechten Gebrauche desselben die volle Lebensfreiheit und Selbständigkeit für ewig hin zu bereiten und zu sichern. Was im Leibe fühlt, hört, sieht, riecht, schmeckt, denkt und will, das ist ja das unsterbliche Wesen der Seele und nicht der an und für sich tote Leib, dessen Scheinleben ja nur durch das wahre Leben der Seele bedingt ist.
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Sieht aber deine Seele nun bei aller ihrer Lebensbeschränktheit durch den Leib die schönen Landschaften dieser Erde und empfindet darüber eine rechte Freude schon beim Anblick der alleräußersten Form, so wird sie dann wohl eine noch größere Freude und Wonne empfinden, so sie mit ihren helleren Augen nicht bloß die äußerste Rinde der Wesen und Dinge, sondern das ganze Innere in seiner wundervollsten Verbindung, Wirkung und Bedeutung wird schauen, beurteilen und verstehen können.
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Ja, wer da noch so tief in seinem Fleische vergraben ist, daß seine Seele mit dem sicheren Tode ihres Leibes auch mit in diesen Tod sich gezogen fühlt - was eine Folge ihrer zu großen Welt- und Fleischliebe ist -, dann muß der Mensch freilich so bedauerlich reden, wie du, Freund, nun geredet hast; aber in welchem Menschen die Seele einmal nach Meiner Lehre und nach Meinem Willen frei von den irdischen Schlacken und dadurch vollkommener und vollendeter geworden ist, der wird beim Anblick einer solchen Gegend und Landschaft eine ganz andere und höhere Sprache führen.
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Daß aber ein Naturmensch, wie du bis jetzt noch einer bist - obschon du nun den Herrn und Meister alles Seins und Lebens mit deinen Augen schauen und mit deinen Ohren vernehmen kannst -, beim Anblick einer herrlichen Gegend darob wehmütig gestimmt wird, weil das Gefühl über seine Vergänglichkeit erwacht, so ist das nur sehr heilsam für seine Seele; denn dieses Gefühl ist eben der unsterbliche Geist aus Mir in eines jeden Menschen Seele, ohne den sie kein Leben hätte, der in der Seele ruft: ,Habe die Welt ihrer äußeren Reize wegen nicht lieb; denn sie alle sind dem Tode und der Vergänglichkeit unterworfen! Ermanne dich, und wende ab dein lüstern Auge von dem, was an und für sich nichts ist. Kehre dafür in dein Innerstes, in mich, dein wahres Sein und ewiges Leben zurück, da wirst du nicht nur die tote, alleräußerste Rinde der Dinge und Wesen schauen und erkennen, sondern auch vorzüglich das, was in ihnen ist und wirkt, und wie und warum und zu welchem Endzweck!`
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Sage du, Freund, Mir nun, so sich die Sache aber nur also und unmöglich anders verhält: Hat der in sich über sein Wesen und Dasein klar gewordene Mensch wohl einen Grund, darob beim Anblick irgendeiner reizenden äußeren Form in sich wehmütig zu werden, weil er einmal den Moderleib ablegen wird?"