Das Grosse Evangelium Johannes: Band 11
Lehren und Taten Jesu während Seiner drei Lehramts-Jahre
- Kapitel 35 -
Der Herr und Maria
Maria aber saß in dem Prunkzimmer, das in jedem jüdischen Hause vorhanden war, umgeben von den vielen Freunden und Bekannten des Lazarus, die ihr Trost zusprachen und die vielen Vorzüge des Verstorbenen rühmten. Maria verblieb in diesem Kreise um so lieber, als einige Pharisäer, die - wie bereits gesagt - sich hier ziemlich ungeniert als Herren gebärdeten, dadurch wenigstens von ihrer Person abgelenkt wurden und sich nicht mit allerhand bereits ziemlich frech vorgebrachten Anerbietungen ihr weiter nahen konnten.
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Maria war, bevor sie Mich kennengelernt hatte, ein sehr lebensfrohes Geschöpf gewesen, das durch den Reichtum, den sie besaß, sich sorglos den Vergnügungen, die das damalige üppige Leben des Herodes Antipas heraufbeschworen hatte, hingab. Unabhängig war sie des Glaubens, unter dem Schutze ihres Bruders auch unverantwortlich zu sein gegenüber der Meinung der allerdings feilen Menge. Infolgedessen wurden ihr oftmals üble Erfahrungen zuteil, da sie den Glauben der Leichtfertigkeit bei den lüsternen Pharisäern erregt hatte.
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Ihr früheres, mehr äußerliches Leben hatte sich jedoch völlig verinnerlicht und ihr den klaren Blick verliehen, Mich auch am meisten von ihren Geschwistern zu erkennen. Jetzt, nach dem Tode ihres Bruders, traten die Pharisäer um so unverschämter auf, da diese an eine wahre Umwandlung ihres Innern nicht glaubten und sogar Mich als den von Lazarus begünstigten Liebhaber auszuschreien versuchten und auch bereits hierüber, sowie über das Ausbleiben Meiner Wunderkraft, die doch den Freund hätte retten müssen, höhnische Bemerkungen gemacht hatten.
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In dem Augenblick Meines Kommens waren die meisten Pharisäer nicht zugegen, sondern hatten sich nach der schon bekannten, dem Lazarus gehörigen Herberge am Ölberge begeben, um sich über die Pachtbedingungen zu orientieren. Diese Herberge war, wie bekannt, von den Pharisäern in Verruf gebracht worden, und sie berieten darüber, diese vor allen Dingen zu beanspruchen, da der Tempel nach Aufhebung des Makels mit derselben ein recht gutes Geschäft machen könnte, zumal sie früher der schönen Aussicht halber von den Juden als eine Art Vergnügungsort sehr besucht war.
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Martha ging heimlich zu Maria, welche sich gerade etwas seitwärts von den anwesenden Juden hielt, und sagte ihr leise: ,,Der Meister ist da und ruft dich!"
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Schnell fragte Maria, wo Ich sei, und Martha gab ihr auch darüber kurze und schnelle Auskunft. Als sie das gehört, stand Maria eilends auf und eilte hinaus.
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Die Juden jedoch, als sie sahen, wie eilends sie sich entfernte, waren erst erstaunt; dann aber sagte Ephraim, ein Freund des Lazarus, der bereits seinen Vater genau gekannt hatte und auch Mich oftmals im Hause gesehen und gehört , wodurch er so eine Art Halbgläubiger geworden war, der Mich mindestens für einen beachtenswerten Menschen, wenn auch nicht für den Messias hielt: ,,Sie geht gewißlich zum Grabe, um dort zu weinen und zu beten. Gehen wir, Freunde, sie aufzusuchen, damit sie in ihrem Schmerze sich nicht etwa ein Leid antue!"
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Die übrigen Juden willigten ein, und so folgten sie langsam der dahinschreitenden Maria. Diese aber, als sie Mich in der Mitte der Meinen erblickte, eilte ungestüm auf Mich zu und fiel Mir laut weinend zu Füßen.
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Schluchzend konnte sie in ihrem Schmerz und in ihrer Freude, Mich zu sehen, keine Worte finden, bis Ich sie liebevoll fragte: ,,Maria, warum weinst du? Weißt du nicht, daß dein Bruder lebt in Meinem Reiche?"
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Schmerzvoll nickte sie mit dem Kopfe und wiederholte die Worte der Schwester (): ,,Herr, wärest Du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben!"
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Ich hob sie vom Boden auf und sprach: ,,Der Geist, der in Mir lebt, hätte, so ihr glaubtet, deinen Bruder auch schützen können, wenn Ich auch nicht anwesend war; aber ihr seid unmündige Kindlein und begreifet die Wege Gottes nicht!"
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Unterdessen waren auch die Juden herangekommen, welche Maria gefolgt waren und eine Gesellschaft von etwa zwölf Personen ausmachten. Als diese sahen, wie Maria gar so heftig weinte und, von Mir gehalten, sich scheinbar nicht trösten lassen wollte, wurden auch sie tief ergriffen, ebenso wie die Meinen, welche dieser Szene beiwohnten, und auf beiden Seiten gab es reichlich Tränen des Mitgefühls.
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Sagte nun Ephraim, der ein bereits ergrauter Mann war: ,,Meister, wie gar so grausam ist doch der Tod, der dieser den Hüter und besten Bruder von der Seite gerissen hat in der vollen Manneskraft! Warum mußte nur so etwas geschehen?"
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Und auch die andern Juden, die Mich und Mein Wort doch alle kannten - denn es waren das wahre Freunde des Lazarus, denen er bei Lebzeiten viel Gutes erwiesen hatte, und die ihm ein dankbares Herz entgegenbrachten, selbst aber arm waren -, stimmten dem Sprecher zu und haderten mit Gott. Maria aber fing an, um so heftiger zu weinen, und die Meinen sahen Mich mit Blicken an, die deutlich aussprachen, daß sie hier die Wege der Gottheit nicht begriffen.
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Da erfaßte Meine Seele eine tiefe Wehmut, daß in den Herzen derer, die Mir nun so lange zugehört und so viele herrliche Werke des in Mir wohnenden Gottesgeistes angesehen hatten, doch noch so wenig wahrhaft lebendigen Glaubens emporgewachsen sei. Und alle Kraft Meiner Seele als Menschensohn faßte sich zusammen in dem heißesten Wunsche, die Schlange, die da verhindere, daß die Kinder völlig klar sehen, gänzlich zu vernichten, damit der Lebensbaum in ihnen gedeihe und herrliche Früchte trage.
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Diesen Vorgang in Mir bezeichnet der Evangelist mit den Worten: ,Er ergrimmte im Geiste und betrübte sich selbst`. Denn bevor Mein Leib nicht gestorben war, war, wie bei jedem Menschen, noch nicht die völlige Verschmelzung des Materiellen und Geistigen vor sich gegangen, sondern es forderte des Menschen Sohn ebensosehr seine Rechte als Körpermensch wie jeder andere, war untertan den Bedürfnissen des Leibes wie auch den Seelenstimmungen, die nur durch den Glauben und festes Wollen sich aus Zweifeln zum Wissen emporhoben und so die völlige Einigung von Körper, Seele und Geist hervorriefen.
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Von jenem Augenblick an, wo in dem einsamen Tal die Gottheit in Mir den letzten Versuch gemacht hatte, mit Luzifer zu rechten, trat auch der Menschensohn wieder mehr in den Vordergrund, der in Gethsemane schließlich alle Seelenängste und Vorkosten des Todes durchmachen mußte, um alle Riegel des Todes, Unglaubens und Zweifels zu zerbrechen, unbeschadet der in ihm wohnenden allmächtigen Gottheit, die mit einem Worte ihre Schöpfung hätte vernichten können, Sich aber Selbst tiefer als die niedrigste Kreatur demütigte, um sie zu retten. -
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Diese Worte sind sehr notwendig, daß jeder sie wohl in sein Herz aufnehme und begreifen lerne, ansonst er nie verstehen wird, warum Ich ins Fleisch kam, litt und starb, und wodurch diese scheinbare Doppelnatur des Menschensohnes und Gottessohnes begründet wird.