Die Drei Tage im Tempel
Gespräche des zwölfjährigen Jesus
- Kapitel 3 -
Des Jesusknaben Frage an die Schriftgelehrten: ,,Wer ist die ,Jungfrau` und wer ihr ,Sohn`?" Die gute Antwort der weisen Schriftgelehrten
Als Ich auf diese Weise Sprachluft bekommen hatte, sprach Ich zu den Ältesten und Schriftgelehrten, die Mir bedeuteten, daß Ich nun reden solle und fragen, um was ich wolle, und sie würden mir nun pflichtgemäß antworten. Und so begann Ich wieder mit der gestellten Vorfrage und sagte: ,,Eure noch so sicher scheinend gestellten Worte können das Meer nicht ruhen machen und den rauschenden Winden nicht Stillschweigen gebieten! Nur ein Blinder merkt von den Zeichen dieser Zeit nichts, und als Stocktauber kann er auch nicht vernehmen den mächtigst dröhnenden Geschichtsdonner dieser allerdenkwürdigsten Zeit der ganzen Erde. Während schon Karmel und Sion vor dem angekommenen König der Ehren ihr Haupt geneigt haben und Horeb aus seinen hohen Zinken Milch und Honig fließen läßt, wisset ihr, die ihr am ehesten davon wissen und das harrende Volk davon benachrichtigen sollet, nicht eine Silbe!"
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Hier machten alle große Augen und sahen bald Mich und bald wieder sich untereinander an und wußten nicht, was sie Mir erwidern sollten.
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Nach einer Weile sagte einer: ,,Nun so rede du weiter von dem, was du davon weißt!"
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Sagte Ich: ,,Sicher weiß Ich, was Ich weiß; aber darum stellte Ich keine Frage an euch, um Mir das von euch erläutern zu lassen, was Ich ohnehin weiß, sondern nur, daß ihr es Mir zeigtet, wer des Propheten Jesaias schwangere Jungfrau ist, von der eben der Sohn des Allerhöchsten soll geboren werden! Warum wird sie Ihm den Namen ,Emanuel` (Gott mit uns) geben? - Warum wird Er Milch und Honig essen, um zu verwerfen das Böse und zu erwählen das Gute? Dieses müsset ihr als Schriftgelehrte denn doch verstehen, was der Prophet unter der schwanger gewordenen Jungfrau, die den bezeichneten Sohn gebären werde, bezeichnet hat!
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Ich bin denn doch der Meinung, daß an jener bethlehemitischen Geburtsgeschichte etwas mehr ist, als ihr meinet, und daß jenes Elternpaar, der bekannte Zimmermann Joseph aus Nazareth und dessen später zum Weibe angetraute Jungfrau, samt dem zu Bethlehem geborenen Sohne noch ganz gut leben; denn sie sind durch eine recht weise Vermittlung des damaligen römischen Hauptmannes Kornelius der späteren Grausamkeit des alten Herodes entronnen und leben nun ganz wohlbehalten zu Nazareth in Galiläa.
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Solches weiß Ich als ein Knabe von zwölf Jahren, und euch, die ihr doch um alles wisset, sollte das unbekannt sein - zumal Joseph als einer der tüchtigsten Zimmermeister noch alle Jahre für Jerusalem etwas zu machen bekommen hat und ihr ihn gar wohl kennet, sowie dessen Weib, das eine Jerusalemerin ist und bis zu ihrem vierzehnten Jahre im Tempel erzogen wurde? Ist sie nicht eine Tochter der Anna und des Joachim, die nach euren chronischen Aufzeichnungen wunderbarerweise zur Welt kam? Anna war schon hohen Alters, und ohne ein Wunder wäre da an eine Befruchtung wohl nie zu denken gewesen!
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Nun, dieses Elternpaar samt dem neugeborenen Knaben lebte bei drei Jahre lang, gleich nach der Flucht aus Bethlehem, wohl in Ägypten, und zwar in der Nähe des Städtchens Ostrazine, nach der altägyptischen Sprache Austrazhina, das soviel sagt als ,ein Schreckenswerk`, also eine Feste, die allen Feinden zu den Zeiten der Pharaonen den Tod brachte. Später haben die mächtigeren Feinde des alten Ägypten diesen Schreckensort wie vieles andere erobert, und es ist zu unseren Zeiten von dem einstigen Schreckensort und -werk nichts geblieben als der alte, verkümmerte Name, dem die Römer freilich eine andere Deutung gegeben haben als die alten Ägypter.
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Allein daran liegt nichts, sondern Ich führte dies Mir Bekannte nur darum an, um euch den dreijährigen Aufenthaltsort des in Rede stehenden Elternpaares näher zu bezeichnen. Von dort sollen sie nach einer geheimen höheren Weisung wieder nach Nazareth heimgewandert sein, wo sie nun vollkommen gottergeben in möglichster Zurückgezogenheit leben, obschon man sich dort von dem Knaben, den sehr wohl zu kennen auch Ich die Ehre habe, eine Menge Wunderdinge erzählt. Denn es gehorchen Ihm die Elemente sogar, und die wildesten Tiere der Wälder und Wüsten fliehen vor seinem Blick ärger denn vor tausend Jägern. Denn in dieser Hinsicht ist Er ein tausendfacher Nimrod! Und davon solltet ihr im Ernste nichts wissen?! Saget es Mir aber ganz aufrichtig und wahr, ob ihr wohl im Ernste von alledem nichts vernommen habt!"
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Sagte ein anderer Ältester, der von einem etwas besseren Sinne beseelt war: ,,Ja, davon eben haben wir wohl schon etwas reden hören, wie auch, daß der uns wohlbekannte Zimmermann mit seinem jungen Weibe Maria sich in Nazareth für ständig aufhalte! Ob aber der Wunderknabe wohl derselbe ist, der vor zwölf Jahren zu Bethlehem in einem Stalle geboren ward, das wissen wir nicht und zweifeln auch sehr daran, daß dies derselbe ist! Und wie sollte jener Knabe etwa gar der Emanuel des Propheten sein?"
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Sagte Ich: ,,So Er es aber nicht ist, woher rührt dann die Macht, die Er über alle Elemente ausübt? Und wer ist des Propheten ,Jungfrau` und wer der ,Emanuel`?"
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Sagte der Reiche aus Bethanien: ,,Höret, dieser Knabe hat ja einen Riesenverstand! Mir kommt es im Geiste vor, als ob er etwa gar ein junger Elias wäre, den jener Wunderknabe aus Nazareth vor sich hersendet, um uns alle auf den da seienden Emanuel des Propheten vorzubereiten! Denn wann hat je einer von uns erlebt, daß außer Samuel ein Knabe von zwölf Jahren so weise geredet hätte?!
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Daher müßt ihr mit diesem Knaben schon eine bündigere Rede führen, sonst werden wir des Knaben nicht los! Den Propheten werdet ihr ihm schon müssen auf eine hellere Weise erläutern und doch prüfen, wie es mit der Jungfrau Maria, der wunderbarlichen Tochter des Joachim und der Anna, steht, die am Ende alle ihre bedeutenden Güter dem Tempel vermachten, als sie starben. Eigentlich nahm der Tempel dieselben als Lohn für die Erziehung der Tochter Maria mit Gewalt als ein herrenloses Besitztum in eigentümlichen Beschlag.
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Was haltet ihr so ganz treu und wahr von jener Jungfrau? Wenn von einem Propheten etwas zu halten ist, so wäre die von ihm genau bezeichnete Zeit nun wohl da, und das Wundersame von der in Rede stehenden Jungfrau kann nun nicht mehr geleugnet werden! So daran doch etwas wäre, da wäre es denn doch auch verzweifelt frevelhaft von uns allen, so wir uns darum nicht tiefer und näher erkundigen würden!"
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Sagte der ärgerliche Älteste: ,,Das verstehst du nicht und redest davon, dem Knaben Vorschub leistend, wie ein vollkommen Blinder von der großen Pracht der schönen Farben!"
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Sagte Ich dazwischen: ,,Es ist aber das wirklich eine sonderbare Sache, daß ein Hungriger wähnt, daß da alles hungrig sei, was ihm nur unterkommt! Ein dummer Mensch hält stets die andern Menschen für noch dümmer, als er selbst ist. Für den Blinden ist jeder auch noch so scharf Sehende blind, und für den Tauben ist ein jeder andere Mensch taub!
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Glaubst du alter Zornkopf, daß außer dir kein Mensch etwas wissen kann? Oh, da irrst du dich sehr! Sieh, Ich bin nur ein Knabe und könnte dir Dinge, die vollkommen wahr und richtig sind, erzählen und kundtun, von denen deiner griesgrämigen Weisheit wohl nie etwas geträumt hat!
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Warum soll Mein reicher Simon aus Bethanien, der Indien, Persien, Arabien, Ägypten, Spanien und Rom und Athen bereist hat, nicht auch etwas wissen, wovon dir noch nie etwas in den Traum gekommen ist?! Wenn aber also, mit welchem Rechte magst du ihn der Unwissenheit zeihen?! - Ich aber sage dir, daß er ganz recht urteilt, und ihr solltet darum das tun, was er um sein vieles Geld von euch verlangt!
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So jemand einen Knecht dingt für eine Arbeit, so muß der Knecht das tun, wofür ihn der Herr gedungen hat. Will der Knecht das nicht, oder kann er es nicht, so wird des Knechtes Herr etwa wohl das Recht haben, den bedungenen Lohn von dem faulen oder ungeschickten Knechte zurückzuverlangen! - Ihr habt euch gut zahlen lassen - und wollt dafür aber nichts tun, oder könnt es nicht! Hat Simon nun nicht das Recht, seinen euch gegebenen Lohn von euch zurückzufordern?"
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Sagte ein anwesender römischer, alles Rechtes kundiger Kommissar und Richter: ,,Da seht einmal den Knaben an! Der ist ja ein vollendeter Jurist und könnte sogleich ein Richter in allen streitigen Sachen sein! Seine Rechtsaussage ist vollkommen in unseren Rechten begründet, und so Simon aus Bethania das von mir verlangt, muß ich ihm offenbar das ,` geben!"
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Darauf trat er zu Mir hin, koste und herzte Mich und sagte zu Mir: ,,Höre du, mein holdester, reichlockiger Knabe, ich bin ganz verliebt in dich! Für dich möchte ich sorgen mit allen meinen Gütern und dich zu etwas Großem erziehen!"
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Sagte Ich: ,,Daß du Mich lieb hast, weiß Ich recht wohl - denn in dir schlägt ein treues, gutes Herz. Du kannst aber auch versichert sein, daß auch Ich dich sehr liebe! Aber für Mein Fortkommen brauchst du dich nicht zu sorgen, denn da ist schon Einer, der sich darum kümmert!"
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Es trat aber auch Simon von Bethanien zu Mir und fragte Mich ganz erstaunt: ,,Sage mir, du mein schönster, liebster und holdester Knabe, woher du es erfahren hast, wie ich heiße, und wo ich überall schon gewesen b in ! "
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Sagte Ich: ,,Oh, es wundere dich dessen ja nicht, denn so Ich irgend etwas wissen will, so liegt das schon so in Meiner Natur, daß Ich es weiß! Das Wie würdest du jetzt wohl noch nicht fassen! - Aber nun wieder zur Sache und zu unserer ,Jungfrau`! Wollet ihr Priester und Schriftgelehrten dies näher beleuchten oder nicht?"
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Sagte einer der helleren Köpfe aus der bedeutenden Anzahl der Ältesten: ,,Ja, ja, es wird sich das schon nicht anders machen, als daß wir dem Knaben ganz reinen Wein einzuschenken anfangen, und so erklärt ihm denn seinen Jesaias nach der Entsprechungslehre der Kabbala, und er wird dann keinen Ausweg zu einer weiteren Frage mehr haben!"
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Darauf trat ein weisest seiender Schriftgelehrter auf und sagte: ,,Nun, du wißbegieriger Junge, nimm deine Sinne denn zusammen und höre und fasse: Unter der ,Jungfrau` verstand der Prophet nicht etwa eine Jungfrau aus Fleisch und Blut, sondern die Lehre nur, die Gott durch Moses den Kindern dieser Welt gab. Im engsten Sinne stellen wir Priester nun diese Lehre und das Gesetz lebendig vor.
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Wir aber, als das Wort Gottes lebendig, sind voll der besten Hoffnung, daß diese Lehre nun in die ganze Welt von uns hinausgeboren wird und erquicken wird die Heiden. Und diese lebendige, wahrhafte Hoffnung ist die vom Propheten gemeinte Schwangerschaft der Jungfrau; der Sohn aber, den sie gebären soll und wird, sind eben die Heiden alle, die unsere Lehre annehmen werden, und diese werden dann sagen und also benannt werden: ,Emanuel`, d.i. ,Gott ist auch mit uns!` Und solches geschah schon vor uns und geschieht nun um so lebendiger und eifriger!
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Aber dieser Sohn werde Honig und Milch essen und verwerfen das Böse und erwählen das Gute. Unter ,Honig` verstand der Prophet die reine Liebe und das wahre Gute aus ihr, und unter ,Milch` verstand er die Weisheit aus Gott, die dem Menschen zuteil wird durch die Befolgung der Lehre und des Gesetzes; und hat man die Liebe und die Weisheit aus Gott sich lebendig zu eigen gemacht, so verabscheut man dann auch frei aus sich alles Böse und will und erwählt das Gute!
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Siehe, du mein lieber Junge, also verhält es sich der innersten Weisheit und Wahrheit zufolge mit der Propheten geistigen Worten und Sprüchen und Reden! Sie haben alle nur einen inneren, geistigen Sinn, der aber nur für den wahrhaft Schriftgelehrten aus den materiellen Symbolen und Bildern durch die treue und wahre Lehre der Entsprechungen herauszufinden ist. Ein Laie kann das nicht - und könnte er es, so wären alle hohen Schulen ganz überflüssig und Moses hätte keine Not gehabt, für die Verwaltung der Lehren und der Gesetze Gottes eigene Priester und Gelehrte aufzustellen! - Verstehst du nun diese allein wahre und richtige Auslegung deines von dir nicht verstandenen Propheten?"