Die Drei Tage im Tempel
Gespräche des zwölfjährigen Jesus
- Kapitel 21 -
Der Beginn der Besprechung am dritten Tage. Jorams mißlungener Versuch, das begonnene Thema abzubrechen. Des ausfällig werdenden Oberpriesters Einwurf und dessen Widerlegung durch den Jesusknaben
Als die beiden auch an ihre Stellen kamen, da erst begann die Besprechung des dritten Tages.
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Ich trat nach dem Winke des Mir höchst geneigt gewordenen Römers zuerst auf und wandte Mich an den Joram, sagend: ,,Nun sind wir heute als am dritten Tage wieder hier in dieser Redehalle versammelt! Es kommt nun darauf an, daß du Mir, schon gestern angetragenermaßen, aus dem Propheten Jesaias zeigest, welche Texte auf Mich wie auch auf jeden andern nach deiner Meinung werden mögenden Messias nicht passen sollten!"
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Sagte Joram: ,,Ja, mein holdester Junge, es wäre alles recht - aber mir sind die fraglichen Texte dem Wortlaut nach schon lange entfallen, und es würde mir jetzt eine wahre Verlegenheit bereiten, gerade dir gegenüber, der du infolge deines riesenhaften Gedächtnisses die ganze Schrift von Wort zu Wort kernfest im Kopfe zu haben scheinst, die gewissen Texte aufzusuchen! Darum gehen wir von der Sache lieber ab, und ich sage: wir lassen dich infolge dessen, was wir von dir gesehen und gehöret haben, als den verheißenen und respektive schon angekommenen Messias gelten! Aber alle die vielen Texte nun in der Schrift aufzusuchen, würde uns viel zuviel Zeit und Mühe kosten!"
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Sagte Ich: ,,Nein, Mein Freund, das geht nicht! Ihr möchtet Mich nun auf eine gute Art loswerden, denn ob ein Messias oder ob keiner, das ist euch einerlei, wenn ihr dabei nur recht gut leben könnt und euch sammeln große Haufen Goldes, Silbers und allerlei köstlichen Edelgesteins! Aber es handelt sich nun vollernstlich darum: Bin Ich es, oder sollet ihr auf einen andern warten?
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Bin Ich es, so ist das Reich Gottes schon zu euch gekommen, und ihr werdet es aus der Schrift wissen, was da an euch ist zu tun, so ihr eines guten Willens seid! Bin Ich aber nach eurer Meinung und aus dem Propheten erwiesen das nicht - nun, da möget ihr denn in euren alten Sünden verharren, bis der Tod euer Endlos sein wird! - Aber da euch das Aufsuchen der tauglichen Texte schon so viel Zeit raubt und eine gar so große Mühe macht, so gebet Mir das Buch, und Ich werde euch Zeit und Mühe ersparen!"
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Hierauf sagte der Oberpriester: ,,Da wirst du dir dann wohl alle jene Texte heraussuchen, die auf dich am allerbesten passen?!"
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Sagte Ich: ,,Nun gut, so suche du Mir welche auf, die auf Mich etwa am wenigsten passen!"
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Sagte der Oberpriester: ,,Na, damit soll dir gleich aufgewartet werden! - Gebet mir das Buch!"
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Man gab dem Oberpriester das Buch in die Hand, und er fing darin mit wichtiger Miene herumzusuchen an, konnte jedoch längere Zeit etwas Rechtes nicht finden. Endlich aber fand er, ihm scheinend, doch etwas, denn es malte sich in seinem Gesichte eine eigene Art Zufriedenheit, hinter der aber auch der oberpriesterliche Hochmutskamm bald ärger als bei einem zornigen Truthahne zu steigen anfing. Er legte mit einem gewissen Herrscherpathos das Buch aufgeschlagen vor sich auf den Tisch und bohrte ordentlich mit seinem Zeigefinger siegesfroh in den Text hinein und sprach:
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(Der Oberpriester:) ,,Da! Komm nun her, du junger Messias aus Galiläa, lies den Text und sage mir, ob auch der auf deine Person paßt!"
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Sagte Ich: ,,Was rufst du Mich, daß Ich den Text aus deinem Buche lesen solle?! Der Geist, der in Mir wohnt, wußte schon sehr lange eher darum, bevor er von Jesaias niedergeschrieben wurde! Und du hast gerade den rechten zu Meinem Siege über dich aufgeschlagen, wo Ich wahrlich keinen bessern hätte finden können!"
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Hier erhob sich der Oberpriester zornig und sprach voll wutentbrannten Eifers: ,,Was sagst du? Du hättest um diesen Text schon früher gewußt, als ihn der Prophet niedergeschrieben hatte?! Ich warne dich, du galiläischer Knabe, vor zu großem Mutwillen! Du zählst erst zwölf Jahre und willst schon vor dem Propheten um diesen Text gewußt haben?! Bist du denn wahnsinnig?!
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So du auch von deiner Seele oder deinem Geiste sprichst - was immer ein und dasselbe ist -, so wird diese doch unmöglich älter sein als ihr Leib, der doch schon nach dem Zeugnisse Mosis eher da sein mußte, als die Seele in denselben einziehen konnte!
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Sagt nicht Moses: ,Gott bildete den ersten Menschen aus Lehm und blies ihm durch die Nüstern eine lebendige Seele ein`?! Geht aus dem aber nicht klar hervor, daß dann doch jedes Menschen Leib, als das fertige Wohnhaus der Seele, eher da sein muß als sie selbst?! Denn was und wo sollte die Seele ohne den Leib sein?! - Daher bedenke, du junger Galiläer, wohl, wo du stehst und vor wem!"
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Sagte Ich: ,,Abgesehen von dem, daß du durch weltliche Protektion und nicht durch höhere, geistige Berufung hier Oberpriester bist, und abgesehen von dem, daß wir hier in der alten Sprechhalle des Tempels versammelt sind, sage Ich dir dennoch ganz trocken ins Gesicht, daß du über geistige Dinge noch um vieles schlechter urteilst denn ein Blinder von den Farben!
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So Gott eine lebendige Seele dem fertigen Leibe Adams durch dessen Nüstern einblies, so war die Seele doch offenbar zuvor in Gott und konnte auch nirgends anderswo sein, weil Gott in seinem Wesen unendlich ist und sich streng genommen Ihm nichts befinden kann!
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Gott aber, da Er selbst ewig ist, kann nichts Zeitliches und Vergängliches oder erst Entstehendes in sich fassen, sondern, was in Ihm ist, ist wie Er selbst ewig. Er kann seine ewigen großen Gedanken und Ideen nur außer sich der Erscheinlichkeit nach zur Gewinnung einer wesenhaften Selbständigkeit wie hinausstellen; und wenn Er das tut, so ist dies von Ihm ausgehend ein Schöpfungsmoment, und für das durch seine Macht und Weisheit wie außer Ihn freigestellte Gottesgedankenwesen beginnt dann erst die Zeit, besser aber der Zustand der zugelassenen Selbsttätigkeit zur Erwerbung eines bleibenden selbständigen Seins wie außer Gott, wenn schon im Grunde des Grundes dennoch in Ihm.
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Wenn aber also, wie sollte Ich dann im Geiste und in Gott nicht eher dagewesen sein, als der Prophet seine Texte aus Gott schrieb?!
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Zudem aber bist du noch in einer großen Irre, so du meinst, daß Geist und Seele ein und dasselbe sind! Die Seele bei den Menschen ist ein geistiges Produkt aus der Materie, weil in der Materie eben nur ein gerichtetes Geistiges für die Löse rastet, der reine Geist aber ist niemals gerichtet gewesen, und es hat ein jeder Mensch seinen von Gott ihm zugeteilten Geist, der alles beim werdenden Menschen besorgt, tut und leitet, aber mit der eigentlichen Seele sich erst dann in eins verbindet, so diese aus ihrem eigenen Wollen vollkommen in die erkannte Ordnung Gottes übergegangen und somit vollends rein geistig geworden ist.
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Daß aber bei dir dieser Übergang noch lange nicht stattgefunden hat, hast du soeben dadurch gezeigt, daß du von deinem eigenen Geiste, ohne den du nicht einen Augenblick lang leben könntest, noch nie eine Idee gefaßt hast!
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Ich aber kenne Meinen Geist und bin schon lange eins mit ihm und kann darum auch aller Natur gebieten, weil der Geist wahrhaft ein Gottesgeist ist und ewig nie ein anderer sein kann, weil es außer Gott keinen Geist geben kann, der nicht Gottes Geist wäre. Denke du und alle nun darüber ein wenig nach, und findet euch darinnen zurecht, dann erst gehen wir auf den auf Mich nicht passen sollenden Text über!
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Dir, Oberpriester, aber rate Ich, daß du dich gegen Mich in den Schranken der gerechten Mäßigung haltest, sonst könntest du bald die Kraft Meines Gottesgeistes wider dich zu sehr gereizt haben! Was Ich vermag, hast du schon gestern erfahren - darum weißt du nun auch schon, was dir bevorsteht, wenn du hier deine Grenzen überschreitest! Denn Ich habe ein teuer erkauftes Recht, zu reden in Sachen Jehovas, das da vor allem bedungen ward. Es ist aber schon schlecht genug, daß man sich bei euch sein wollenden Dienern Jehovas ein Rederecht, nach Stunden bemessen, erkaufen muß; und noch schlechter müßte es sein, so man noch obendrauf von dem erkauften Rechte nicht den bedungenen Gebrauch machen dürfte!"